Kostenersatz für Nele-Besetzung? Bezahlt wird nicht!

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Kostenersatz für Nele-Besetzung? Bezahlt wird nicht!

Mitte November wurde das leerstehende Gebäude der ehemals revolutionär marxistischen Druckerei in Wien 1160 besetzt. Genannt wurde das Haus “Nele”. Diese Raumaneignung war nicht nur ein direktes Zeichen gegen Aufwertungs- und Verdrängungspolitik, sondern bot auch einer Vielzahl an Menschen die Möglichkeit sich in antihierarchischen und nicht leistungsoptimierenden Formen des Zusammenlebens, sowie anderen Lernprozessen zu erproben. Nachbar*innen fanden die Besetzung gut und bekundeten ihre Solidarität. Es hatte Sprengkraft. Vielen Leuten stinken die Eigentumsverhältnisse und die damit einhergehenden Mietverhältnisse gewaltig. Den Herrschenden ist das bewusst. “Wo käme mensch da hin, würden jetzt alle leer stehenden Wohnraum besetzen?”

Nach knapp 3 Wochen wurde die Besetzung durch ein riesiges Polizeiaufgebot inklusive Hebebühne, Feuerwehrsprungkissen und Hubschrauber beendet.

Während die gut gepanzerten Polizist*innen mit Rammbock ins Erdgeschoss des Hauses einbrachen, kletterten die Besetzer*innen teilweise auf das Giebeldach des Hauses, teilweise auf das darunter liegende Flachdach. Während die Menschen vom einsichtigen Giebeldach mittels Hebebühne nach Unten eskortiert wurden, wurden die Menschen von dem von der Straße nicht einsichtigen Flachdach mit verdrehten Armen herunter geschleift und kopfüber durch ein Fenster geworfen.

Das ist eines von unzähligen Beispielen wie die Polizei hinter geschlossenen Türen gerne mal brutaler vorgeht als unter Beobachtung.

Alle geräumten Personen verweigerten die Angabe ihrer Identitäten. Bei 2 Personen konnten Namen ermittelt werden. Sie wurden nach mehreren Stunden zeitgleich mit den anderen 13 unbekannten Personen aus dem PAZ (Polizeianhaltezentrum) entlassen.

Ein anderes Beispiel wie die Polizei hinter verschlossenen Türen mit widerspenstigen Menschen umgeht, ist die Inhaftierung einer Besetzerin.

Die Polizei warf der Person vor, nach der Räumung (also als schon alles vorbei war und die Medien nicht mehr vor Ort), im PAZ Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgeübt zu haben. Sie verbrachte daraufhin mehrere Monate in Haft.

Bei solch kostenintensiven Räumungen von besetzten Häusern kommt in der Öffentlichkeit immer wieder die Frage auf: “Wer bezahlt für den vollkommen überzogenen Polizeieinsatz?”

Unter dem Druck, tausende Euro teure Räumungen von zuvor ungenutzten Häusern rechtfertigen zu müssen, kam die Polizei auf eine besonders perfide Idee:
Unter der Erklärungsnot, dass die Allgemeinheit zur Kassa geboten wird um Privatinteressen zu verteidigen, möchten die Bullen ihre maßlosen Einsatzkosten den Besetzer*innen umhängen.

Sie versuchen also durch einen Winkelzug mit dem §92a einen Kostenersatz von den geräumten Personen zu erpressen.

Durch das „Sicherheitspaket“, welches am 25.Mai 2018 in Kraft getreten ist, wurde der §92a erweitert. Bisher war nur dann ein Kostenersatz vorgesehen, wenn eine Alarmanlage ohne Grund Alarm abgab. Durch die neugeschaffene Regulierung des §92a Abs. 1a SPG (Sicherheitspolizeigesetz) ist vorgesehen, dass auch Verursacher*innen eines Polizeieinsatzes zum Ersatz dieser Kosten in 2 Fällen verpflichtet werden können:

Wenn der Polizeieinsatz vorsätzlich durch eine falsche Notmeldung ausgelöst wurde, oder
wenn sich eine Person zumindest grob fahrlässig einer Gefahr für Leben oder Gesundheit ausgesetzt hat. Zu zahlen soll dann ein Pauschalbetrag sein, der in erster Instanz durch die Bezirksverwaltungsbehörde bestimmt wird.

Diese unpräzise Formulierung spielt der Willkür des Polizeiapparates in die Hände.

Eine der beiden identifizierten Personen, die sich während der Räumung auf dem Giebeldach befand, bekam 7 Monate nach dem Einsatz einen Brief mit einer Kostenersatzforderung über € 3.808,-. Die Person soll sich durch das Erklimmen des Giebeldaches selbst in Gefahr gebracht haben und jetzt deswegen für den Polizeieinsatz aufkommen. Einen Einsatz den sich die Person mit Sicherheit nicht gewünscht hat.

Außerdem befand sich die Person ausschließlich nur zu jenem Zeitpunkt grob fahrlässig in Gefahr, als ein Bulle am Dach nach ihr trat, wie ein Video dokumentiert.

Besonders dass die Definitionsmacht, wann sich eine Person in Gefahr befindet, bei der Polizei liegt, macht diesen Paragrafen zu einem Werkzeug um eine Vielzahl an politischen Protesten zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Sei es beim Abseilen oder anderen Kletteraktionen im Umweltkontext, Tripod-Aktionen oder die Verwendung von Lock-ons gegen Tierfabriken. Selbst eine Straßenblockade kann unter diese Definition fallen.

Bei politischen Protesten geht die größte “Gefahr für Leben oder Gesundheit” allerdings meistens von der Polizei aus.

Dieser Einschüchterungsversuch auf finanzieller Ebene ist kein Einzelfall. Die Veranstalter*innen einer Gegendemonstration gegen den rechtsradikalen Kongress “Verteidiger Europas” im Oktober 2016 wurden zu € 23. 000,- Schadensersatz verklagt. Und zwar deshalb, weil Demonstrant*innen Farbbeutel geworfen haben.

Auch die Silvesternacht, bei der als Resultat eines überzogenen Polizeieinsatzes mehrere Menschen Verwaltungsanzeigen aufgrund “ACAB-Rufe” zugeschickt bekommen haben, ist ein Beispiel eines Einschüchterungsversuchs. Den betroffenen Personen werden die Taten nicht direkt vorgeworfen, sondern Teil einer Gruppe gewesen zu sein, aus der irgendwer etwas geschrien hätte. Die bloße Anwesenheit soll bestraft werden.

Bei beiden Beispielen, wie auch bei der Kostenersatzforderung, scheint es, als würden die Repressionsbehörden gerade austesten, wie weit sie praktisch und juristisch gehen können, um Widerständige einzuschüchtern.

Sie versuchen Präzedenzfälle zu schaffen, um die Möglichkeiten widerständiger Kämpfe immer weiter zu einzuschränken.

Lassen wir uns das nicht gefallen! Wehren wir uns auf allen Ebenen und mit allen Mitteln!

Einsprüche sind schön und gut, aber die Gerichtssäle dieser Welt verhandeln keine Gerechtigkeit.

Lassen wir uns nicht für unser politisches Engagement vom Staat erpressen.

Bezahlt wird nicht! Lasst uns niemals aus freien Stücken jene bezahlen, die unsere Leute geschlagen, getreten und weggesperrt haben!

Ganz im Gegenteil, sollte es zu einer Eintreibung und womöglich zu einer Ersatzfreiheitsstrafe kommen, wird der Staat dafür doppelt und dreifach bezahlen (Unterkunft inklusive). Jegliche Unterstützung erwünscht!

Repression versucht kollektive Wut in individuelle Ohnmacht zu verwandeln. Verwandeln wir unsere individuelle Ohnmacht wieder in kollektive Wut und spucken den Schergen der Macht & Ordnung ins Gesicht!

//english

“Kostenersatz” for occupying Nele? No one will pay!

In November 2018, activists occupied an empty building, a former revolutionary Marxist printery in Vienna. They called their new house “Nele”. It was not only a symbol of protest against the politics of gentrification and vacancy. It was a space to encourage living together in a different way. Neighbours came to visit and many approved of the occupation. A lot of people are sick of the dominant power relations and the resulting overall rent situation. Those in power are aware of that: “Where would this end, if everyone occupied empty houses?”
The occupation has been evicted after around three weeks. There was a massive presence of police, including a lifting ramp, an emergency air cushion from the fire department and helicopters.
While the police broke into the house using a battering ram, occupiers climbed the roof. Some climbed the very visible pitched roof, while others remained on the flat roof underneath. The former have been escorted downstairs on a lifting ramp, the latter who couldn’t be seen from outside of the building, were thrown headfirst through a window and dragged downstairs with arms twisted behind their backs.
One of countless examples underlining the fact, that the police likes to act more violent, when no one watches and no one can hold them accountable for their actions.
All of the evicted people refused the ID control by the police and have been arrested. Two have been identified nonetheless. They have been released hours later from the police station, together with those who remained anonymous.
A further example of how the police acts behind closed doors is the incarceration of one of the occupiers.
The police accused her of “Widerstand gegen die Staatsgewalt” (civil disorder). But only after the eviction was over: The “Widerstand” (resistance) according to the accusations happened after she was already arrested and removed from Nele, again, where no one was watching. She had to spend several months imprisoned because of the claims.

Because of evictions as expensive as this one, one question is asked by the public, the media and politicians again and again: >>Who pays for this?<<

Under pressure of justifying their excessive expenses to the public; all for evicting a formerly empty house, the police had a new idea:
They want to try to make the occupiers pay for their (the police’s) deeds.

They try to use §92a to reach that goal.
When the “Sicherheitspaket” (safety package) became law on may 25, 2018, the §92a was updated. Until before, a “Kostenersatz” (reimbursement of costs) for a police operation was only possible when an home security system had a false alarm, causing them to act for no reason. Because of the new interpretation of §92a Abs. 1a SPG, it’s now possible that people who cause a police operation can be obliged to pay for its costs in two other situations:
If the police operation has been caused by a deliberately wrong emergency call or if a person involved put themselves into danger recklessly.
This vague phrasing of the law encourages the police to misuse it.
One of the two identified persons, who stayed on the pitched roof got a letter demanding payment of 3808 €. The claim is that they put themselves in danger by climbing the roof; hence are responsible to pay for the overblown police operation. An operation that this person certainly did not wish for.
The only moment where they were in real danger was most likely when someone from the police kicked in their direction while on the roof, which is documented by camera footage.
Especially that the authority to decide, whether a person is in danger or not lies within the police makes this new way of interpreting the law vulnerable for misuse against all kinds of social or environmental activism. Be it environmental activists climbing on trees, lock-on actions (actions where people lock themselves e.g. onto a tree, fence or entrance) against animal abuse or simply people blocking a street in protest, everything could be affected by this new interpretation of the law.
On another note: More often than not during political protests, the greatest danger to a protester is not the act of protesting, regardless what forms it may take, but the police itself.
Efforts like this, to intimidate protesters by financial means aren’t unusual. The organizers of a demonstration against the congress “Verteidiger Europas” (defenders of europe) – held by members of the far right in October 2016 – were charged for 23.000 € of compensation. The reason: protesters threw paint during the demonstration.
New years eve posed another opportunity for acts like the above. During a police operation, several people were charged for “screaming ACAB” in the direction of the police. The persons affected by this aren’t charged separately for their individual actions (meaning the police does not claim to have caught and know about the individuals that are charged screaming this), but for being “part of a group” where someone has screamed something like this. The mere presence during this event shall be punished, according to them.
All those examples have in common, that police and authorities now seem to test out new ways to see how far they can go (in police practice and on the legal side of things) to intimidate protesters.
They try to create precedents to further restrain acts of resistance and fights for change.
Let’s not just accept this! Let’s fight this and defend ourselves by any means possible!
Objections are nice and all, but the courtrooms of this world are not the place for discussions about justice. What is right or wrong according to the law is defined by the existing power relations, not justice.
Let’s not be criminalized and intimidated by the state for our political engagement.
No one will pay! Never will we start to voluntarily pay the people who hit and kick and imprison us!
On the contrary, in case of an actual conviction and the following “Ersatzfreiheitsstrafe” (substitute imprisonment instead of paying the sentence) the state will have to pay double and more (board and lodging inclusive).
Support of all kinds is welcome! Punishments and acts of intimidation like these are designed to turn collective anger into individual feelings of powerlessness. Let’s turn the tables and once again – turn our individual suffering into collective anger. Screw the system and it’s loyal protectors!